Quantcast
Channel: Die Freiheitsliebe » International
Viewing all articles
Browse latest Browse all 137

Interview mit der “Linken” Bosniens zu den sozialen Kämpfen

$
0
0

1235214_413743032063740_1416186722_nDie gewaltsamen Proteste in Bosnien sind zum großen Teil friedlichen gewichen. In Tuzla, Sarajevo und Zenica haben sich Räte gebildet, an denen alle Menschen teilnehmen können und sollen. Doch nach wie vor ist die Lage ungewiss: Anders als in der Ukraine waren Nationalisten bei den Protesten keine treibende Kraft, aber immer wieder versuchen diese die Bewegung zu unterwandern. Wir haben die junge Partei „Lijevi“ (Linke) aus Bosnien zu den Ereignissen interviewt. Die Partei wurde 2012 als Reaktion auf die neoliberale Deregulierungs-Politik der etablierten Parteien gegründet. Leider hat sie seitdem mit dem Aufbau der eigenen Infrastruktur zu kämpfen und ist bisher nur in Tuzla und Sarajevo aktiv. Aktuell sind die Mitglieder der „Lijevi“ vor allen in den Plenumssitzungen in Tuzla aktiv, den auch dort tummeln sich Nationalisten.

Die Freiheitsliebe: Stellt euch doch bitte kurz vor.

Lijevi: Wir sind eine relativ junge Partei welche sich formal 2012 als solche registriert hat. Obwohl wir eine Partei sind treiben wir Ideen voran, welche nicht im Einklang mit der aktuellen neoliberalen Politik aller Parteien in BiH steht, im Gegenteil. Leider haben wir große Schwierigkeiten unsere Basis zu erweitern und eine richtige Infrastruktur aufzubauen. Daher sind wir momentan nur in Sarajevo und Tuzla aktiv.

Die Freiheitsliebe: Wieso ist es zum Aufstand in Bosnien gekommen? Was war der Auslöser?

Lijevi: Vor einigen Wochen haben sich die Arbeiterinnen ehemaliger Chemiefabriken zusammengeschlossen und entschieden, jeden Mittwoch friedliche Proteste vor dem Gebäude der Kantonsgerichte, der Staatsanwaltschaft und der Regierung abzuhalten. Am Mittwoch den 05. Februar haben sich diesen Protesten weitere ArbeiterInnen, StudentInnen, Erwerbslose und RentnerInnen angeschlossen. Bereits an diesem Tag hatte die Polizei beschlossen, die Demonstration aufzulösen, nachdem diese einige Eier und Steine gegen die Regierungsgebäude des Kantons Tuzla geworfen hatten. Dies führte zu einer starken Reaktion in der Öffentlichkeit, was zu der „Intensivierung“ der Demonstrationen nicht nur in Tuzla, sondern in vielen weiteren Städten geführt hat. Das Resultat der mehrtägigen Proteste ist, das drei von zehn Kantonsregierungen der Föderation von BiH zurückgetreten sind. Nun sind einige Tage vergangenen und die Demonstrationen sind deutlich friedlicher geworden, doch wir können wohl mit weiteren Rücktritten rechnen. Vor allem gibt es immer mehr Menschen, die den Rücktritt der Regierung der Föderation insgesamt wollen.

Die Freiheitsliebe: StudentInnen, RenterInnen und ArbeiterInnen demonstrieren alle Gemeinsam. Ist dass das Resultat der kapitalistischen Politik der letzten 20 Jahre?

Lijevi: Absolut! Es ist nur wichtig zu betonen, dass die kapitalistische Politik in unserer Region nicht erst in den letzten 20 Jahren begann, sondern bereits in den 1980ern. Mit den ersten IWF Krediten und Strukturanpassungsprogrammen begann ein Prozess, welcher direkt in die Vernichtung der jugoslawischen Wirtschaft und den Bürgerkrieg mündete.

Die Freiheitsliebe: Steht eine politische oder ideologische Kraft/Organisation hinter den Protesten?

Lijevi: Man kann nicht sagen das eine einheitliche Ideologie oder irgendeine einheitliche Organisation hinter diesen Prosteten steht, außer den ArbeiterInnen und ihrer Unzufriedenheit. Doch, seit dem die Zahl der DemonstrantInnen massiv gestiegen ist, versuchen verschiedene Gruppierungen die DemonstrantInnen zu manipulieren und die Proteste zu ihrem Vorteil zu nutzen. Das gilt vor allem für die Parteien der parlamentarischen Opposition, welche in den Rücktritten der Kantonsregierungen ihre Chance sehen, sich alle Vorzüge der Arbeit in einer Regierung zu sichern. Auf der anderen Seite, haben viele informelle linke und rechte Gruppierungen auf die eine oder andere Art versucht die Protestierenden für sich zu gewinnen.

Die Freiheitsliebe: Haben die Proteste zu weniger Nationalismus geführt?

Lijevi: Das was ein Teil der Bevölkerung dieses Staates fühlt, kann man eher als Paranoia charakterisieren, denn als Hass. Leider sind auch die Proteste nicht immun gegen verschiedenste Art der ethnischen Manipulation. Eins der Hauptprobleme Bosniens ist der viel zu große und inneffektive staatliche Apparat. Ein Teil dieses Apparats hat die Kantone und Regionen nach ethnischen Kriterien aufgeteilt. Auch wenn die Abschaffung überflüssiger Ebenen der Regierung (Kantonsregierungen a.d.R.) ökonomisch gerechtfertigt ist, verklären die politischen Eliten ihn jeweils als Angriff auf die Interessen der jeweiligen ethnischen Gruppen, wo doch es eigentlich um die finanziellen Interessen der Eliten geht. Deswegen ist es von entscheidendster Bedeutung die Einheit der ArbeiterInnen zu betonen und die Produktion wieder aufzunehmen, um jeden Preis, denn jede andere Strategie wird die Arbeiterproteste in einen Krieg verwandeln, genauso wie es in den 90ern passiert ist.

Die Freiheitsliebe: Wie stark sind die Linken Kräfte in Bosnien und besteht eine Chance den Arbeiterprotesten einen antikapitalistischen Charakter zu geben?

Lijevi: Das Problem der Linken in Bosnien, wie auch in den meisten anderen Ländern ist, dass sie viel zu zersplittert ist. Ein weiteres Problem ist, dass linke Kräfte in den 90ern im ehemaligen Jugoslawien fast vollständig verschwunden waren. Trotzdem haben diese Proteste für zusammenwachsen gesorgt. Unsere Partei steht im täglichen Austausch mit vielen weiteren linken Gruppierungen. Andere Gruppierungen wiederum kontaktieren uns, damit wir die Probleme der ArbeiterInnen gemeinsam wieder in den Mittelpunkt rücken können, da das Hauptaugenmerk zwischenzeitlich auf die Gewalt der Polizei gegenüber den DemonstrantInnen gefallen war. Wir stehen auch in enger Verbindung mit allen anderen Gruppen mit denen ein Dialog möglich ist, damit alle zusammen die Probleme lösen können.

Die Freiheitsliebe: Was glaubt ihr wie sich die Proteste entwickeln werden? Ist dies eine bosnischer oder gar eine jugoslawische Revolution?

Lijevi: Das ist schwer zu beantworten. Wir sind alle überrascht über die Schnelligkeit, mit dem sich die Dinge entwickeln. Es gab nur wenige die am Donnerstag daran geglaubt haben, dass die Regierung am Freitag stürzen wird. Auf der anderen Seite erhalten wir von allen Seiten Unterstützung. Es werden Proteste und Solidaritätskundgebungen in vielen Ländern angekündigt, so dass es nicht auszuschließen ist, das auch Regierungen in anderen Ländern zu fallen beginnen. Ob wir überhaupt von einer Revolution sprechen können müssen wir noch abwarten, denn die Entwicklung ist noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil, es hat gerade erst begonnen.

Die Freiheitsliebe: Glaubt ihr es kommt zu einer NATO Intervention?

Lijevi: Ich glaube dass bereits jetzt klar ist, dass es dazu nicht kommen wird.

Die Freiheitsliebe: Was kann die linke in Europa tun um euch ihre Solidarität zu zeigen und konkret zu helfen?!

Lijevi: Von diesen Arbeiterprotesten muss überall berichtet werden. Es wäre gut, wenn so viele Nachrichten wie möglich in den großen internationalen Medien über die Proteste in Bosnien gezeigt würden. Denn wenn die Arbeiter davon hören dass ihre Aktivität in der internationalen Presse Resonanz findet, würde sie das zusätzlich motivieren. Außerdem sucht unsere Partei immer nach neuen Kontakten, denn wir sind Verfechter des linken Internationalismus. Uns würde es viel bedeuten, wenn sich linke Organisationen in Europa und aus der ganzen Welt bei uns melden würden.

Die Freiheitsliebe: Danke für das Interview.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 137