Am 30.Juni 2012 wurde Mohammed Mursi zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Die Muslimbrüder waren nach Jahren der Verfolgung und Unterdrückung an der Macht. Nach etwa einem Jahr, am 3.Juli endete die Präsidentschaft Mursis. Das Militär setzte ihn nach tagelangen Massenprotesten, die vermutlich noch größer waren als die Proteste, die 2011 zum Sturz Mubaraks führten, ab.
Mursi und seine Muslimbrüder hatten ihre Versprechen gegenüber den Menschen gebrochen. Sie hatten das Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Sie waren demokratisch an die Macht gekommen – aber regierten zunehmend autoritär. Ihre Zugeständnisse nach Zusammenarbeit mit allen Kräften im Land hatten sie nicht eingelöst. Und die Versprechen der Revolution, insbesondere nach sozialer Gerechtigkeit, waren sie nicht fähig und willens zu erfüllen. Die Arbeitslosigkeit stieg immer weiter, immer mehr ÄgypterInnen sahen keine Perspektive mehr. Es waren die liberalen und linken Oppositionsgruppen, welche die Massenproteste organisierten und das Militär letztlich zum Handeln zwangen.
Denn die Armee in Ägypten hat schon immer ihre eigenen Pfründe gepflegt. Sie ist ein großer wirtschaftlicher und politischer Akteur im Land. Ihr Ziel war immer Stabilität, um in Ruhe den eigenen wirtschaftlichen Interessen nachgehen zu können. Deshalb ließ das Militär damals Mubarak fallen, nachdem dieser die Stabilität nicht mehr gewährleisten konnte. Und es stürzte Mursi, nachdem die Proteste gegen ihn überhandnahmen.
Das Militär will offensichtlich das „Experiment“ Demokratie in Ägypten beerdigen. Unter dem Oberbefehlshaber Al-Sissi setzt es auf massive Gewalt gegen die Muslimbrüder. Auf dem Al-Nahda-Platz und in Raba’a al-Adawiyya hat es brutale Massaker gegen Anhänger des gestürzten Mursi verübt. Natürlich haben die Muslimbrüder die Hoffnungen der Menschen schwer enttäuscht – dass rechtfertigt aber in keiner Weise sie abzuschlachten. Es geht aber der Armee auch nicht blind um Rachegelüste an den ungeliebten Muslimbrüdern. Die Armee hat aus ihrer Sicht immer rational agiert. Sie will die Spaltung des Landes, die völlige Konfrontation. Sie will deutlich machen: „Demokratie funktioniert nicht. Wir müssen übernehmen. Nur wir schaffen Stabilität.“
Al-Sissi und die restliche alte Mubarak Garde hat die große Chance gesehen, sich wieder zurück an die Macht zu katapultieren, die alte Ordnung wiederherzustellen. Ausgerechnet die liberale und linke Opposition hat sich mit ihren berechtigten Protesten zum Steigbügelhalter der Militärs gemacht. Vizepräsident Al-Baradei hat dies offenbar durchschaut und ist zurücktreten, weil er nicht länger die Verantwortung übernehmen will für die Massaker. Dafür wird er von vielen liberalen Kräften kritisiert, welche das Abschlachten der Muslimbrüder begrüßen
Es ist bestürzend, was in Ägypten passiert. Nur wenige linke Kräfte sind bereit, beim Namen zu nennen, was passiert: Eine Konterrevolution. Heute werden die Muslimbrüder abgeschlachtet. Und wenn die Armee mit ihnen fertig ist, wenn es den Ausnahmezustand wie zu Mubaraks Zeiten auf unbestimmte Zeit verhängt hat – dann werden schon bald diejenigen, die heute der Armee zujubeln, die nächsten Opfer sein. Die Armee ertränkt unter Beifall der Revolutionäre die Revolution im Blut. Das ist das wahre Elend in Ägypten.
* Niema Movassat ist Mitglied des Deutschen Bundestags für DIE LINKE und beschäftigt sich insbesondere mit den Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika.
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Die Revolution wird unter Beifall in Blut ertränkt- Niema Movassat
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