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Wie die Privatisierung von Staatsbetrieben Bosniens Wirtschaft zerstörte

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Die Wirtschaft liegt im Argen, "Flohmärkte" spriesen aus dem Boden. (Foto: Flickr.com/ lenartr/ CC)

Die Wirtschaft liegt im Argen, “Flohmärkte” spriesen aus dem Boden. (Foto: Flickr.com/ lenartr/ CC)

Seit Wochen streiken und protestierend Tausende Arbeiter*innen in ganz Bosnien gegen Privatisierung und die Schließung ihrer Betriebe. Diese Misere wurde durch die bosnischen Regierungen erst ermöglicht und durch die Privatwirtschaft vorangetrieben. Auch die EU spielt bei der „planmäßigen“ Vernichtung der bosnischen Wirtschaft eine Rolle. Ein Bericht über die Privatisierung der chemischen Industriekomplexe in Tuzla. Wir berichteten Bereits über die Antiprivatisierungsproteste in Bosnien, ebenso wie über die etablierten Räte und in einem Interview mit der “Linken” Bosniens, versuchten wir die Proteste einzuschätzen.

Fast die gesamte Chemie- und Holzwirtschaft der bosnischen Stadt Tuzlas ist dank der Privatisierung vernichtet worden. Die Zeche für die jahrelange Misswirtschaft muss nun von der gesamten Gesellschaft beglichen werden. Die Fabriken, welche seit Jahre leer stehen, wurden nicht nur durch die einsetzende Privatisierung vernichtet, sondern ebenso durch vorschnelle Insolvenzverfahren, die durchgeführt worden sind, weil der Staat keine Gesetze zum Schutz des öffentlichen bzw. staatlichen Eigentumes erlassen hat – Im Fokus der politischen Arbeit stand die Privatwirtschaft. Die einstigen Marktführer im ehemaligen Jugoslawien wie z.B. „Guming“, „Polihem“ und „TDI“ sind bereits lange Geschichte, wohingegen „Dita“, „Konjuh“ und „Aida“ in ihren letzten Atemzügen liegen. Die ehemalige Industriestadt verliert nicht nur sein einstiges Stadt- und Erkennungsbild (Viele Fabriken), sondern auch seine komplette wirtschaftliche Infrastruktur. Denn die Betriebe, die nicht bereits geschlossen sind, stehen kurz vor der Schließung.

Die Privatisierung der staatlichen Betriebe in Bosnien und Herzegowina (BiH) begann vor zehn Jahren. Insistiert haben vor allem der IWF (Internationale Währungsfods), die EU (Europäische Union) und die UN (Der Hohe Beauftragte). Die Arbeiter*innen der Fabriken, welche teilweise über Jahrzehnte in selbstverwalteten Betrieben und Industrieanlagen gearbeitet haben, stehen heute ohne Arbeit und Selbstbestimmung dar. Im Staatskapitalismus Jugoslawiens konnten sie in Ansätzen ihren betrieblichen Alltag mitbestimmen und hatten sichere Arbeitsplätze, wohingegen die Menschen heute ihre Zeit bei Spaziergängen auf der Straße oder im Arbeitsamt verbringen: Bosnien hat eine Arbeitslosigkeit von 44%, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 60%.

Vor kurzem hat das Informationsnetz „Account BiH“ die zehn größten Veruntreuungen und Fehlkalkulationen bei Privatisierungen aufgelistet. Eldin Karić, Betreiber der Plattform erklärte, dass die politischen Parteien und ihre Spitzenfunktionäre diejenigen sind, welche am stärksten von der Privatisierung profitiert haben: „Unsere Recherchen haben bestätigt was sowieso alle Bürger*innen BiH vermuten und zwar, dass die Privatisierung der staatlichen Betriebe dazu geführt hat das wie heute ohne Industrie und ohne funktionierende Wirtschaft dastehen. Fast alle Firmen haben nach der Privatisierung geschlossen oder ihre Produktionskapazitäten drastisch reduziert, so das nicht einmal die Versorgung Bosniens sichergestellt werden könnte. Das schlimmste an der ganzen Geschichte ist jedoch, dass heute keiner mehr die Verantwortung dafür tragen will.“

Einige Beispiele

Im Jahr 2004 kaufte die polnische Firma Organic Trade für 5,5 Millionen Euro den ehemals größten Chemiekomplex „Polihem“ auf. Beim Kauf wurde versprochen, das durch die Privatisierung mehr Arbeitsplätze entstehen sollten und mindestens 40 Millionen Euro investiert werden sollten. In der Zwischenzeit ist „Polihem“ Insolvent und die ehemals 614 Arbeiter*innen sitzen auf der Straße. Enes Tanović, ein Arbeiter der Fabrik sagt, das es bis heute keine Aufklärung über die dubiose Privatisierung des Betriebs gab: „Als die Firma verkauft wurde, begannen die Arbeiter*innen mit ihrer Arbeit, wobei gleichzeitig Arbeiter*innen entlassen wurden. Alles wurde systematisch zerstört. Jetzt hat die Bank, welche die Hypothek der Fabrik hält, 2.500 m² für 40.000 Konvertible Mark verkauft, was ein weiteres Verbrechen ist. Genau dieselbe Bank hält als Gläubiger 3,5 Millionen Euro an „Polihem“ gehalten.“ Vor 12 Jahren schrieb der bosnische Ökonom Kadrija Hodžić: „Dieser Prozess (Der Privatisierung) ist starker Korruption ausgesetzt, der gesellschaftlichen „Unverantwortung“ und den Fehlern der wirtschaftlichen Spitze.“ Der Betreiber der Plattform Account BiH sieht eine Lösung im kroatischen Modell: „In Kroatien wurden sehr fürh Antikorruptionsgesetze in den Privatisierungsprozess eingebaut, welche für einen besseren Übergang der Staatsbetriebe gesorgt haben.“ Vor allem die Profiteutere der Kriegsjahre und die Privatisierungen, die sich indirekt daran anschließen hätten durchleuchtet und für ungültig erklärt werden müssen. Man hätte zwar nicht das gesamte Kapital zurückholen können, aber wenigstens die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, so Eldin Karić.

Wirtschaftliche Lage Katastrophal

Das BIP pro Kopf BiH ist mit dem von Namibia vergleichbar. Der Durchschnittslohn der Arbeiter*innen liegt gerade einmal bei 1/9 des deutschem: 380€. Viele Renter*innen bekommen deutlich weniger wie z.B. 50 – 100€. Dahingegen liegt das durchschnittliche Einkommen der Politiker und hohen Beamten stellenweise bei über 4.000€, dem zehnfachen dessen was die durchschnittliche Bevölkerung verdient. Dabei sind die Lebenserhaltungskosten BiH mit denen von Deutschland zu vergleichen. Cola, Milka und Brot kosten ebenso viel wie in deutschen Supermärkten, teilweise sogar mehr. Lediglich saisonales Obst und Gemüse ist deutlich günstiger. Der einzige Grund, warum Bosnien bis heute wirtschaftlich überleben konnte, sind die Transferleistungen der Diasporagemeinde, die sich auf mehrere Milliarden Euro im Jahr beläuft.

Auch die wirtschaftliche Zusammensetzung hat sich massiv gewandelt. Arbeiteten 1991 gerad einmal 10% der Bevölkerung im Landwirtschaftlichen Sektor und der Großteil im Industrie- und Dienstleistungssektor, ist es heute umgekehrt: Fast alle Berufstätigen arbeitet in der Landwirtschaft. Ohne Geldzufluss aus der Diaspora, wäre das Land nach Schätzungen des deutschen Auswärtigen Amtes bereits vor Jahren in die soziale Katastrophe geschlittert.


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