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Wir müssen dem Märchen über die faulen Griechen entgegentreten – Im Gespräch mit Gesine Lötzsch

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Dr. Gesine Lötzsch – (dielinke_sachsen/ flickr.com/ CC BY 2.0)

In Griechenland und Südeuropa spitzt sich die Krise immer weiter zu. Menschen verbrennen sich aus Verzweiflung selbst, es kommt zu Regelmäßigen Generalstreiks und das Gesundheitssystem ist bereits lange Zusammengebrochen. Wir führten ein Interview mit Dr. Gesine Lötzsch über die Krise in Griechenland und dem aufkeimendem Neofaschismus in Deutschland. Gesine Lötzsch ist seit 2002 MdB der LINKEN, vorher war sie MdL in Berlin. Sie ist Mitglied im Haushaltsausschuss. Der erste Teil des Interviews zu Griechenland und der europäischen Krise könnt ihr hier lesen.

 

Die Freiheitsliebe: Kommt die „Hilfe“ (Red. Hilfsgelder), die aus Deutschland kommt, überhaupt bei den Menschen in Griechenland an?

Ich hatte vor einigen Wochen eine junge Griechin zu mir als Praktikantin eingeladen. Eine 34 jährige Deutschlehrerin für Grundschulkinder. Ich betone   das Alter: 34. Daran kann man sehr gut die Lebensumstände in Griechenland illustrieren. Sie musste mit 34 aus finanziellen Gründen zu ihren Eltern zurückziehen, genauso wie ihre erwachsene Schwester. Und als Deutschlehrerin bekommt sie , wie viele Altersgenossen, nur Vertretungsstellen. Sie wird am Beginn oder während des Schuljahres eingestellt. Das heißt,  sie ist spätesten während der Ferien  arbeitslos. Ihr Arbeitslohn wurde  von Jahr zu Jahr niedriger.Sie kann davon nicht leben kann.

Ihre Schwester arbeitet in einem Krankenhaus in der Verwaltung und bekommt seit zwei Jahren kein Gehalt, sondern nur noch „Taschengeld“. Das liegt daran, dass das Krankenhaus zunächst Mitarbeiter bezahlen muss und will, die Familie haben und erst dann solche, die noch bei ihren Eltern wohnen.

Es kommen keine Hilfen bei den Menschen an, ganz im Gegenteil. Die Menschen sind konfrontiert mit steigenden Preisen und mit sinkenden und nicht ausgezahlten Löhnen. Zusammenfassend kann man sagen dass das Wort Hilfe für Griechenland falsch ist. Geholfen wird den Banken und die Bankgeschäfte laufen weiter, aber bei den Menschen nichts  an.

 

Die Freiheitsliebe: Können Sie uns erklären, wohin das Geld aus der EU dann hinfließt?

Das  Geld fließt in einen Kreislauf der Banken. Die Deutsche Bank ist einer der größten Gläubiger Griechenlands. Da gibt es ein interessantes Karussell. Wir sorgen mit deutschen Steuergeldern dafür, dass die Kredite der Deutschen Bank bedient werden können.

Interessant ist, dass das Finanzministerium die Deutsche Bank als Berater bei der Privatisierung von öffentlichen Besitztümern in Griechenland eingesetzt hat. So wird  doppelt zugegriffen..  Meine griechische Praktikantin hat das  so formuliert:das ist eine Sterbehilfe für die Menschen.

 

Die Freiheitsliebe: Also profitiert die deutsche Industrie von der Krise in Griechenland?

Ja, das kann man auch sher  gut berechnen. Durch die Griechenlandkrise ist der Euro stark abgewertet worden und die deutschen Exporte sind um 50 Milliarden Euro gestiegen. Das sind 2% des Bruttoinlandproduktes. Das führt natürlich zu höheren Steuereinahmen. Der zweite Aspekt, wo ein Vorteil für Deutschland erkennbar wird, ist der in Deutschland stabile Schuldensektor. Selbst bei konservativer Berechnung durch die Bremer Landesbank des Zinsvorteils ist für Deutschland ein Vorteil von 45 Milliarden Euro entstanden. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt hat 300 Milliarden.

Selbst Wolfgang Schäuble hat im Bundestag darauf hingewiesen, dass  es gar in den deutschen Medien aufgenommen worden ist, wie sehr,  Deutschland bisher von der Krise nur profitiert hat.

 

Die Freiheitsliebe: Die Bundessregierung schickt nur eine Botschaft nach Griechenland: Sparen, sparen, sparen. Was ist die Alternative?

Man sollte  zwei Blicke in die Geschichte riskieren. Der erste Blick geht  in das Jahr 2008. Da bestand die Gefahr, dass Deutschland unter der Finanz- und Wirtschaftskrise extrem leiden könnte. Da hat man etwas getan, was das komplette Gegenteil von den Maßnahmen ist, die von Griechenland gefordert werden.  Es wurde ein großes Konjunkturprogramm aufgelegt.  Die bekannteste Maßnahme  war die Abwrackprämie.  So ist die deutsche Autoindustrie nicht eingebrochen. Das Kurzarbeitergeld wurden verlängert und es gab ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung. Die Kommunen haben festgestellt:  Es ist Krise und auf einmal können sie etwas machen,  worauf sie lange gewartet haben: ihre Schulen und Kindergärten sanieren.

Wenn wir den Blick etwas weiter zurückrichten, also auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, so gab es für Deutschland den Marshallplan.  Das war ein riesiges Konjunkturprogramm und die Grundlage für das deutsche „Wirtschaftswunder“.

Von Griechenland aber wird  das komplette Gegenteil verlangt. Die Wirtschaft wird kaputt gespart. Griechenland braucht ein Investitionsprogramm, manche sagen auch einen Marschallplan. Das würde wirklich helfen.  Alles andere ist verheerend.

Ich habe mit Menschen, die vor kurzem in Griechenland waren, gesprochen. Die haben erzählt, dass es erschütternd ist, was man als Urlauber erlebt: Die Preise in den Restaurants sind höher als in Deutschland und außer ein paar Urlaubern kann sich das niemand leisten. Es ist Unsinn bei sinkenden Einkommen der Menschen immer höhere Preise zu verlangen. Das würde jedes Land kaputt machen.

 

Die Freiheitsliebe: Wie würde eine linke, solidarische Politik im Umgang mit Griechenland aussehen? Gibt es etwas noch mehr außer einem Marschallplan,  um Griechenland zu helfen?

Gerade DIE LINKE ist eine Partei die das Große mit dem Kleinen verbinden kann. Das eine ist natürlich der Marschallplan, aber es gibt ja nicht nur in Griechenland Probleme. Es ist ja eine grundlegende Frage, dass wir endlich die Regulierung der Banken durchsetzen, endlich eine Finanztransaktionssteuer und dafür sorgen, dass die irren Geschäfte auf den Finanzmärkten nicht mehr möglich sind. Darüber wurde seit 2008 viel geredet, aber geschehen ist wenig. Man darf auch nicht nachlassen, die Regulierung des Finanzsektors zu fordern denn das ist der entscheidende Punkt.

Mir ist ein wichtiges Anliegen, dass wir in Deutschland für Aufklärung sorgen müssen. Wir müssen dem Märchen über die faulen Griechen entgegentreten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Völker nicht auseinanderdividiert werden.

(Das Interview wird am Samstag fortgesetzt. Thema: Neofaschismus in Deutschland)

Das Interview für die Freiheitsliebe führte Daniel Radmacher.


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