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Kabinettsrücktritt in Ägypten: Zurück in die Autokratie?

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Wird Ägypten den Sprung hin zu einem demokratischen Staat schaffen?
(Quelle: AhmadHammoud/ http://farm5.staticflickr.com/4098/
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In Ägypten beginnt die große Taktierei vor der Präsidentschaftswahl, die vermutlich im April stattfinden soll. Zumindest kann so der am Montag angeküdigte Rücktritt des Übergangskabinetts des ägyptischen Ministerpräsidenten Hasem al-Beblawi verstanden werden. Al-Beblawi hat zwar den Rücktritt des gesamten Kabinetts auf die “aktuellen Umstände” geschoben, diese Erklärung scheint aber nicht besonders schlüssig. Wahrscheinlicher ist, dass Verteidigungsminister al-Sisi für die kommenden Präsidentschaftswahlen in Stellung gebracht werden soll. Die Streiks der letzten Wochen, auf die al-Beblawi wohl mit seiner Äußerung anspielt, wären dann nur ein Vorwand. Anhänger des linken Präsidentschaftskandidaten Hamdeen Sabahi warnen, mit einem Präsidenten al-Sisi müsse man eine Rückkehr in die Autokratie fürchten.

Montagmittag lautete die überraschende Schlagzeile: Rücktritt des ägyptischen. Ministerpräsident al-Beblawi hat dem Übergangspräsidenten Mansur den Rücktritt des kompletten Kabinetts angeboten. ”Die Regierung hat in den vergangenen sechs oder sieben Monaten ihre Verantwortung und ihre Pflicht erfüllt und nicht an Mühen gespart, um Ägypten aus der Krise zu führen, in der es sich befand”, teilte al-Beblawi im Staatsfernsehen mit.

Streiks, Terroranschläge und Rebellion

Al-Beblawi war seit Juli 2013 im Amt, nachdem der demokratisch gewählte Präsident Mohammed Mursi, Anhänger der islamistischen Muslim-Bruderschaft, vom Militär gestürzt worden ist. Es war ein Putsch des Militärs, der von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt worden ist. Das Ziel hieß Demokratisierung. Denn nach dem Sturz des autoritären Herrschers Husni Mubarak sollte ein Ende der Autokratie herbeigeführt werden, das viele durch den knappen Sieg der Muslim-Bruderschaft für gefährdet hielten. Daher bezeichneten die Gegner Mursis seinen Sturz als “Zweite Revolution”.

Die Vorstellung, dass nach dem Militär-Putsch Mursis eine neue Demokratisierungswelle einsetzt, wird von Protesten, Terroranschlägen und kritische Äußerungen der politischen Gegner überschattet. Denn sieben Monate nach dem gewaltsamen Putsch Mursis ist die politische und wirtschaftliche Lage Ägyptens weiterhin angespannt. Touristen und Investoren sind abgeschreckt; Textilarbeiter, Polizisten, Postangestellte und Bedienstete des öffentlichen Verkehrs haben in den vergangenen Wochen ihre Arbeit niedergelegt, um gegen die für sie nicht geltenden kürzlich eingeführten Mindestlöhne zu demonstrieren; und Terroranschläge von der Muslim-Bruderschaft nahestehenden Terroristen häufen sich.

Verteidigungsminister al-Siri bringt sich in Stellung

Auf den ersten Blick erscheint die Erklärung nachvollziehbar, die ein Regierungsoffizieller, der nicht namentlich genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur dpa gegeben hat. Demnach sei Al-Bebawli wegen der zunehmenden Streiks und der Unzufriedenheit in der Bevölkerung zum Rücktritt gedrängt worden. Dennoch ist fraglich, ob das tatsächlich stimmt.

Wie oben bereits gemutmaßt, deutet vieles darauf hin, dass die zunehmenden Streiks vielmehr ein geeigneter Vorwand sind, um den Verteidigungsminister und Militär-Chef al-Siri für die Präsidentschaftswahlen im April in Stellung zu bringen. Um offiziell kandidieren zu dürfen, darf man aber laut der Verfassung keine politischen Ämter ausführen und dem Militärdienst angehören. Der Austritt aus der Regierung ist für al-Siri, der als politisch mächtigster Mann in Ägypten gehandelt wird, also praktisch. Seit Wochen erwartet die ägyptische Bevölkerung die offizielle Kandidatur al-Siris. Eine Kabinettsumbildung als solches ist daher nicht überraschend; wohl aber der Rücktritt des gesamten Kabinetts.

Autoritär oder demokratisch?

Die Zukunft Ägyptens hängt davon ab, wie autoritär der Staat in Zukunft geführt wird und wie stark sich das Militär in den politischen Prozess einmischt. Der arabische Frühling ist vor allem mit der Idee gestartet, sich von der oftmals korrupten und autoritären Politik der teilweise jahrzehntelang agierenden Herrscher zu verabschieden. Politische Teilhabe, wirtschaftlicher Aufstieg und Arbeitsplätze für die Jugend. Das waren einige der wichtigsten Forderungen.

Al-Siri gilt als heißer Kandidat für die kommende Präsidentschaftswahl. Bekannt gemacht hat er sich unter anderem durch die öffentliche Rechtfertigung so genannter “Jungfrauentests”. Laut tagesschau.de verschleppten im März 2011 Militärpolizisten jugendliche Demonstranten vom Tahrir-Platz in den Keller des Ägyptischen Museums und misshandelten sie dort. Zynischerweise rechtfertigte al-Siri das damit, dass man sicherstellen wollte, dass diese Frauen ihre Jungfräulichkeit noch besäßen, damit sie später nicht behaupten könnten, sie seien von Militärpolizisten vergewaltigt worden.

Derzeit sieht alles danach aus, dass der Rücktritt des Kabinetts al-Beblawi kein positives Signal für eine erneute Demokratisierungswelle ist. Vieles scheint intransparent und getrieben von Machtinteresse des Militärs zu sein. Politische Kandidaten, die die Ziele der ursprünglichen Revolution fordern, haben kaum eine Chance. Es bleibt eine schwierige Situation in einem zerrissenen Land.


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