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Serbien vor dem Kollaps? Das Land nach der Wahl

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Parlament in Belgrad

Parlament in Belgrad

BELGRAD In Serbien wurde gewählt und die neokonservative Fortschrittspartei (SNS) erzielte bei den vorzeitigen Neuwahlen die absolute Mehrheit. Die Parteienlandschaft hat sich so dramatisch verändert wie in den vergangenen 15 Jahren nicht. Lediglich vier Parteienbündnisse bleiben im neuen Parlament vertreten, eine erstzunehmende Opposition gibt es nicht mehr. Dabei haben alle Parteien eine Gemeinsamkeit: Ein striktes neoliberales Programm und einen pro EU Kurs. „Alle haben gewonnen, die Menschen haben verloren“ heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme eines unbekannten Aktivisten. Mit 53 Prozent war es die niedrigste Wahlbeteiligung seit zehn Jahren.

Die Neuwahlen waren ein strategischer Coup der SNS. Diese regierte bereits seit zwei Jahren gemeinsam mit der sozialistischen Partei Serbiens, der ehemaligen Partei Slobodan Milosevics. Auf einem Umfragehoch befindlich, spulte die Partei ihren Masterplan ähnlich dem der nordrhein-westfälischen SPD ab: Neu wählen und alleine/richtig regieren – der Plan ging auf. Diesen Sonntag traten dann dutzende Parteien in Serbien zur Wahl an und die Fortschrittspartei erfüllte alle Prognosen. Diese Mal schafften es nur vier Parteien und einige, wenige MinderheiterverterInnen ins Parlament. Lange etablierte Parteien wie die Nationalisten der Radikalen Partei Serbiens (SRS), die Liberale Partei (LDP) oder die konservative demokratische Partei (DSS) scheiterten an der fünf Prozent Hürde. Auch in der Landeshauptstadt Belgrad, welche 2/3 des BIP Serbiens generiert, wird künftig von einer absoluten Mehrheit der Fortschrittspartei regiert. Mit 48,2 Prozent der Stimmen bzw. 156 der 250 Mandate sicherte sich Aleksander Vucic, Spitzenkandidat der SNS und zukünftiger Premier, die Mehrheit. Neben der Fortschrittspartei zog die Koalition der Sozialisten mit 44 Sitzen ins neue Parlament ein. Die neue Partei des ehemaligen Präsidenten Boris Tadic, die neue demokratische Partei (NDS), teilte sich die Stimmen mit der „alten demokratischen Partei“ (DS) fast exakt in der Mitte: Erstere errangen 20, letztere 18 Sitze und bilden alleine oder gemeinsam mit der sozialistischen Partei Serbiens die Opposition.

Der Wahlkampf wurde von Aleksander Vucic mit einer pro Europa und anti Korruptionspolitik geführt. Vor den Wahlen inhaftierte der ehemalige Vizepremier des Landes den reichsten Serben und beschlagnahmte das Eigentum mehrerer, unter Korruptionsverdacht stehender Millionäre. Gleichzeitig betrieb er, so zumindest die mediale Kampagne, einen Kampf gegen die Korruption der Behörden. Vucic gibt sich als der neue Starke Mann auf dem Balkan, welcher konsequent für die Versöhnung mit den Nachbarländern steht und der Korruption und Misswirtschaft ein Ende bereiten wird. Einige serbische Medien bezeichnen ihn bereits als den Putin des Balkans – er spielt geschickt mit den Beziehungen zu Russland und der EU und betont gleichzeitig den serbischen „Patriotismus“ ohne den Gestus der 90er. Und trotz aller Kritik muss erwähnt werden, dass ohne die SNS und Aleksander Vucic keine Entspannung mit der selbst ernannten Republik Kosovo möglich gewesen wäre. Ebenso ist die Fortschrittspartei in der tagesaktuellen Politik deutliche Schritte auf Kroatien und Bosnien zugegangen, die Beziehung zu den bosnisch-serbischen Nationalisten eher frostig als freundlich.

Ethnisierung der Politik

Mit der Verfassung von 2006 ging ein hohes Maß an Ethnisierung einher. Denn dort wurden die Prozenthürden für „Minderheitsparteien“ ausgehebelt. Diese müssen für einen Sitz deutlich weniger Stimmenanteile generieren als Parteien, die sich keiner ethnischen Minderheit zuordnen. Das führte dazu, das vor allem in der Wojwodina, sowie in Südost und –west Serbien neben den großen Parteien, ethnische Parteien dominieren. Häufig sind solche Parteien Sammelbecken nationalistischer Strömungen der größeren Minderheiten. Nach den Wahlen ist der Bund wojwodinischer Ungarn ist mit sieben Sitzen im Parlament vertreten. Auch die Muslime aus Südwestserbien (3 Sitze), wie auch die albanische Minderheit aus Südostserbien sind im Parlament mit eigenen Parteien vertreten.

Analogien zu Bosnien lassen sich nur bedingt ziehen, obwohl die politische Landschaft im westbalkanischen Nachbarstaat deutlich ethnisierter ist. Trotzdem führen solche Sznearion häufig zu einer Stärkung nationalistischer Strömungen, denn anstelle einer politischen Auseinandersetzung erfolgt diese an ethnischen Grenzen entlang. Nicht die Frage nach Kapitalismus, Wirtschaftsform, EU oder Politikstil spielt für solche Parteien eine Rolle, sondern nur die Frage danach, ob man dazu gehört oder nicht.

Neoliberal sind alle Parteien

Alle Parteien die den Sprung in die Nationalversammlung des Landes geschafft haben eint ihre Wirtschaftspolitik: Der neoliberale Kurs, welcher unter der Regierung Zoran Djindjics Anfang des Jahrtausends begann wurde unter allen nachfolgenden Fortgesetzt. Egal ob DSS, DS, NDS, SNS, SRS oder Sozialistische Partei – stetig war die Annäherung an die Europäische Union und den von Deutschland diktierten Kurs Richtung Neoliberalismus. Im konkreten bedeutete das für die Menschen Serbiens die Privatisierung sämtlicher ehemaliger, unter Arbeiterselbstverwaltung stehender Betriebe, die Schließung nicht „profitabler“ Unternehmen und die Kürzungen aller sozialer Leistungen. Die Gewinner einer solchen Politik sind die „Tycoons“, welche Analog zu den Oligarchen in der ehemaligen Sowjet Union, in Serbien entstanden.

Kritik kommt vor allem aus den Reiehn der unorganisierten Aktivisten. „Wir haben gelernt unsere Schnauze zu halten und alles auszuhalten, uns nicht für unsere  Rechte einzusetzen. Weil wir lieber reality Shows gucken anstatt uns gegen das ausbluten unseres Landes zu stellen.“, schreibt ein Aktivist aus Krusevac im Internet. Die Elite des Landes diene nachwievor dem Kapital und nicht den Menschen, doch die Einwohner Serbiens haben dies dank „Bort und Spiele“ verdrängt.

Neue Parteien, dieselben Probleme

Die Fortschrittspartei wird den Weg weitergehen, den sie vor zwei Jahren angetreten ist: Rascher Eintritt in die EU, Privatisierungen und Kürzungen im Sozialbereich. In Serbiens sind bei einer Bevölkerung von 7,5 Millionen über 1,4 Millionen Menschen ohne Arbeit. In den letzten zwei Jahren ist der Lebensstandard der meisten Einwohner Serbiens gesunken: Steuern, Wasser-, Strom- und Mietpreise sind gestiegen, während soziale Leistungen und Löhne sinken. Hunderte Betriebe befinden sich seit Monaten oder Jahren in Insolvenzverfahren, Tausende von ArbeiterInnen erhalten keinen Lohn. Dijeningen, die einen erhalten, „erfreuen“ sich im Schnitt über 320 Euro im Monat. Weniger als im Nachbarland Bosnien, in dem es vor einem Monat zu massiven Protesten kam. Durch das Inkrafttreten des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen Serbien und der EU im September vergangenen Jahres, sank zudem der Spielraum der Regierung sich „theoretisch“ gegen neoliberale Gesetze und Politik zu wehren. Das Abkommen beinhaltet den Freihandel, Freien Kapital-, Arbeits- und Dienstleistungsverkehr, sowie die Anpassung des Rechts- und Wirtschaftskaders an den acquis communautaire der EU. De facto bedeutet das die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Kürzungen der Sozialleistungen, die Einschränkung des Streikrechts und etliche weitere Gesetze, die zu einer Verschlechterung der Situation der ArbeitnehmerInnen führt.

Prognose: Soziale Unruhen

Unabhängig davon, wie stark sich die SNS nach dem Sieg fühlt, prognostizieren etliche Soziologen soziale Unruhen für Serbien. Das Land hat ähnlich wie Mazedonien, Bosnien und Montenegro eine rapide anwachsende Staatsverschuldung (zwischen fünf bis zehn Prozent des BIP) und eine stetig sinkende Lebensqualität. Alle neoliberalen maßnahmen haben bisher nur zur Verschlechterung der Situation der Beschäftigten geführt. Nun steht der neue Regierung eine riesige Entlassungswelle bevor: Ein drittel der Staatsausgaben sind Personalkosten. Der Internationale Währungsfonds, sowie die europäische Kommission erwarten von der neuen serbischen Regierung eine schnelle Senkung der Staatsausgaben. Für Hunderttausende Menschen wird dies die Arbeitslosigkeit bedeuten. RentnerInnen müssen mit Pensionen von 50 bis 400 Euro überleben, die Schwarzarbeit wächst. Erste Unruhen gab es bereits Mitte Februar, als die Beschäftigten eines Großbetriebes in Südserbien die Autobahn blockierten und seit mehreren Monaten im Streik sind. Vergangenes Jahr ging ein Arbeiter sogar soweit, sich selber Finger abzuschneiden um die Unternehmensleitung zum einlenken zu bewegen.

Wahlen geben den Menschen im Land keine Wahl . Egal ob liberal-konservativ oder national-kovervativ oder sozialdemokratisch:  Sie alle unterscheiden sich lediglich in Nuancen. Für die meisten Soziologen und Politikwissenschaftler ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zum Aufstand der Menschen Serbiens kommt.


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